Ich bin die Tochter einer extrem starken Frau. Manchen ist sie vielleicht zu stark, vielleicht sogar zu stolz. Aber niemand hat mir mehr den Weg der „Independent Woman“ vorgelebt, als meine Mutter. Heute, mit 32 Jahren, sehe ich das noch klarer als je zuvor. Als ein mittleres von 12 (!) Kindern hat sie schon sehr früh gelernt sich zu behaupten. Was bei einer Ratio von 6 Jungs und 6 Mädels (!) gar nicht mal so einfach ist. Selbst mein Großvater sagte immer (in liebvoller Manier), dass meine Mutter ein Sohn hätte sein sollen, weil ihre Energie, Frechheit und Portion Mut für so ein kleines Mädchen wohl ziemlich ungewohnt gewesen sein muss. Aber ist das bereits Grund genug nach Feminismus zu schreien, weil man kleinen Mädchen nicht dieselbe (Willens-)Stärke zutraut, wie kleinen Jungs? Ich sage: Habt Geduld.
Mit 19 Jahren…
… meldet sich meine Mutter zum freiwilligen Wehrdienst. Seite an Seite mit männlichen Kameraden an der Front, im Graben, mit einer automatischen Kalaschnikow (AK-47 um genau zu sein) mitten im Kampf ums nackte Überleben. Ist das Gleichberechtigung? Ich sage: Habt Geduld.
Viele Jahre, und eine glückliche Ehe später, kam ich. Während sich viele Väter Söhne wünschen, wünschte sich mein Vater Töchter. Weil Mädchen liebevoller seien. Ist das bereits Gender-Diskriminierung? Ich sage: Habt Geduld.
Was ist richtig? Was ist falsch?
Es ist kein Fehler, das Durchsetzungsvermögen eines kleinen Mädchens und den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn einer 19-jährigen Teenagerin zu unterschätzen. Es ist auch kein Fehler, sich ein Mädchen oder einen Jungen zu wünschen. Falsch ist es, anderen Menschen die Chance zu rauben sich unter gleichen Bedingungen zu verwirklichen und auszuleben allein auf Grund der Tatsache, dass sie anders sind. Und in diesem besonderen Fall meine ich mit „anders“: Sie haben Brüste, eine Vagina und halt keinen Penis! Das ist der Kern des Feminismus – und nicht der Mythos, dass wir Männer sein wollen, Männer hassen, sie in ihrem Wesen diskreditieren wollen oder Penisneid haben. Obwohl im Stehen pinkeln zu können schon Luxus wäre, aber ich schweife ab…
Weder meine Mutter noch mein Vater haben versucht, abgesehen von den Ballettstunden (die ich in einem pubertären Protest dann abgebrochen habe – und ja ich bereue es!), mich auf eine fixe, von der Gesellschaft erwartete Rolle vorzubereiten. Dabei wurde mein weibliches Geschlecht nie als „Nachteil“ angesehen, sondern als Motor für meine Reise durch das Leben. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass ich nicht nur eine Frau, sondern auch eine Frau eritreischer Herkunft (Ost-Afrika) bin. Was nochmal ein anderes Kaliber an Diskriminierung und Vorurteilen mit sich bringen kann.
Aber wird „Girl Power“ tatsächlich überbewertet?
Nein, es wird unterbewertet. Kurz nach meinem 16. Geburtstag verstarb mein Vater – unser größter Fan. Auf einmal bist du plötzlich Witwe, führst ein Unternehmen alleine, hast zwei Töchter auf der Spitze ihrer Pubertät und und und. Der Aufschrei nach weiblicher Stärke, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit war in meiner Familie nun stärker denn je. „Wir brauchen keinen Mann! (Auch wenn wir es uns manchmal gewünscht haben)“, „Wir schaffen das! (Haben wir immer)“ und „Wow, ich glaub´ nicht, dass ich das gerade selber repariert habe… (Stolz und neue unbekannte Skills)“ waren Sätze, die mich geprägt haben – nochmal: ohne Männer zu diskreditieren, selbst am heutigen Weltfrauentag ? Denn Gott weiß, dass ich genügend Onkels und Cousins habe, die auch mal eingesprungen sind und dann haben wir für sie gekocht.
Trotzdem:
Ohne „Girl Power“ hätte diese Familie nicht überlebt. Ohne meine feministischen Eltern, die mir sagen, dass ich genauso gut und wichtig wie ein Mann bin, wäre mein Gerechtigkeitssinn nicht der Gleiche. Ohne Feminismus wäre ich mir meiner Stärke nicht bewusst. Ob es manche Männer einschüchtert? Bestimmt… dann sind sie aber nicht die Richtigen für uns.
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